ASSLAR – Der 1.-Mai-Feiertag ist für Daniel Novak und Jonas Schmidt traditionell ein Tag des Radsports. Mit einem Rennrad-Everesting hatten sich die beiden Mittelhessen diesmal eine ganz besondere Herausforderung vorgenommen – für sich und für den guten Zweck.
Was als Notlösung gedacht war, wurde am Ende eine echt große Sache: Da das für den 1. Mai geplante Radrennen in Frankfurt aufgrund der Corona-Pandemie zum zweiten Mal auszufallen drohte, bereiteten sich Novak und Schmidt schon früh auf eine Alternative vor.
Auch Novaks ehemaliges Team, das Team Rheinhessen, hatte eine gute Idee für den Feiertag am 1. Mai: Das Sammeln von Höhenmetern auf dem Fahrrad für den guten Zweck. Jeder für sich, ob zu Hause auf dem Rollenergometer oder draußen, mit Online-Anbindung oder ohne. Jeder sollte ganz Corona-konform möglichst viele Höhenmeter fahren und um Sponsoren werben, die für jeden Meter einen Cent spenden würden. Das gesammelte Höhenmeter-Geld sollte an Prof. Dr. med Gerhard Trabert gehen, der sich mit seinem Team vom Mainzer Arztmobil ehrenamtlich um Obdachlose und arme Menschen kümmert.
Auf mittelhessischer Strecke auf den Mount Everest
Von der guten Sache und der sportlichen Herausforderung angetan, bereiteten sich Daniel Novak und Jonas Schmidt auf ihr Everesting vor. Den Regeln des Everestings entsprechend, mussten sie 8.848 Höhenmeter, also die Höhe des Mount Everest, des höchsten Berges der Welt, mit dem Fahrrad auf der immer gleichen Strecke am Stück einfahren. Zwischen Oberlemp und Bechlingen bei Aßlar fanden die beiden einen Anstieg, den sie für ihr Everesting auswählten.
Zwei Wochen vor dem 1. Mai fuhren sie an einer anderen Stelle eine Generalprobe: Im Regen ging es an diesem Tag ins Basislager des Everestings, also bis zur halben Höhe des Mount Everest. Das sei schon sehr schwierig gewesen, sagt Jonas Schmidt zurückblickend. Nicht wegen des Wetters, sondern weil der Anstieg viel flacher gewesen sei, als der Abschnitt zwischen Oberlemp und Bechlingen. Denn je nach Steigung der Strecke kommen beim Everesting nicht nur viele Höhenmetern sondern auch eine beachtliche Streckenlänge zusammen. Und die sollte die zweite große Herausforderung für die beiden Mittelhessen sein – wie schon bei der Vorbereitung. Es galt nämlich zu entscheiden, ob man einen großen Wendepunkt anfährt, an dem man mit mehr Tempo umkehren kann, oder ob man enger wendet, dafür das Tempo jedes Mal neu aufnehmen muss, aber Strecke spart. Man entschied sich, im Tal vor dem Feuerwehr-Gerätehaus am Ortsrand von Oberlemp zu wenden, statt in die Ortsmitte zu fahren.
Voller Einsatz für den guten Zweck
Wenn es nicht zu kalt sein würde, wolle man das Everesting auch bei Regen in Angriff nehmen, berichtete Daniel Novak bei einer Streckenbesichtigung mit Radsportnachrichten.com. Novak und Schmidt kennen sich mit Langstreckenfahrten von früheren Unternehmungen schon gut aus – das Everesting war aber eine noch neue Erfahrung für die beiden Werdorfer. Dass die Fahrt einem guten Zweck diente, motivierte sie zusätzlich. Um den Druck, das Everesting zu schaffen, nochmal zu erhöhen, baten die beiden Radsportnachrichten.com um eine Ankündigung und auch die heimische Presse wurde über das Vorhaben informiert. So wussten in Mittelhessen viele bescheid, dass auf der Landstraße zwischen Oberlemp und Bechlingen mindesten 110 Runden auf einer 2,7 Kilometer langen Strecke gefahren werden sollten, deren 83 Höhenmeter über 8.848 Gesamthöhenmeter und rund 297 Kilometer Gesamtstrecke ergeben würden.
1.000 Höhenmeter vor sieben Uhr
Im Wissen, dass sie einen langen Tag vor sich hatten, begannen ihn Daniel Novak und Jonas Schmidt entsprechend früh: Um 4:54 Uhr gingen sie von ihrer logistischen Basisstation, am Gipfel im Wald vor Bechlingen, auf ihre erste Runde. Bei kühlen drei Grad war es zumindest trocken und auch die Prognose für den Tag ließ mit trockenen 14 Grad erahnen, dass das Everesting nicht durch die Witterung erschwert werden würde. Die ersten 1.000 Höhenmeter waren schon vor sieben Uhr eingefahren. Als es gegen 8 Uhr die ersten Sonnenstrahlen über den Berg schafften, sorgten Novak und Schmidt mit Musik und Gesang für Abwechslung und Unterhaltung bei der Höhenmeter-Jagd. Doch die Fahrt konnte ihre Monotonie nicht ganz verbergen: 1,35 Kilometer lang war der Anstieg, an dessen Ende die Wende und die bis zu 70 km/h schnelle Abfahrt zurück nach Oberlemp folgte, wo dann schon wieder umgedreht wurde. Novaks und Schmidts Familie und Freunde sowie Anwohner der nahen Ortschaft kamen an die Strecke, um zu motivieren und den Verlauf der Fahrt für den guten Zweck zu verfolgen. Unterwegs habe er immer wieder die Vibration seines Handys gespürt wenn Nachrichten von neuen Spenden eingegangen seien, sagt Novak. Auch das habe die beiden zum Durchhalten motiviert. Teamkollegen und Radsportler aus der Region begleiteten das Duo zeitweise auf der Strecke.
Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang
Gegen Mittag war die Hälfte der 8.848 Höhenmeter erreicht. Doch der Tag war noch lang, die Titel der mitgeführten Musik begannen sich zu wiederholen und die Beine wurden erkennbar schwerer. Novak und Schmidt schienen sich inzwischen auch schon alles erzählt zu haben, was sie von den vor ihnen liegenden Höhenmetern ablenken könnte. Es wurde ruhiger und das Lächeln in der Vorbeifahrt kam wie auf Kommando. „Wenn’s zum weinen nicht mehr reicht: lächle“, konnte Schmidt noch scherzen. Mit der tief stehenden Sonne kamen die Angehörigen erneut an die Strecke – was ein untrügliches Zeichen für das nahende Finale war. Für Vortrieb gesorgt haben dürfte auch, dass Schmidts Eltern Pizza bestellt hatten – gegen 20 Uhr sollte die nach Hause geliefert werden.
Die letzten 1.000 Höhenmeter wurden gefeiert wie die ersten 1.000 am Morgen. Um 20:17 Uhr war dann das Ziel erreicht. Die letzten Meter an Höhe und Strecke wurden, schon aus der Ferne hörbar, von Jubel begleitet, der im Ziel in Erschöpfungsstöhnen überging. Das Speichern der Fahrdaten, die per GPS dokumentiert wurden, hatte dann höchste Priorität, gefolgt von einer Tüte Fruchtgummis. Nicht fehlen durften noch Worte der Dankbarkeit für die Anfeuerung des langen Tages und vor allem für die große Spendenbereitschaft. Dann freuten sich beide auf die Dusche und wahrscheinlich auch auf die Pizza die gerade noch warm gewesen sein dürfte.
Im Mai steht erneut ein Everesting in Mittelhessen auf dem Programm und ein ungewöhnliches noch dazu: Der Gießener Langestrecken-Experte Daniel Mauser hat geplant, Ende des Monats ein doppeltes Everesting zu bestreiten. Wann und wo genau, lest ihr demnächst auf Radsportnachrichten.com.
REDAKTION | Dein Sport. Dein Revier. Wir berichten von hier.
Stephan Dietel
Er wohnt im Gießener Ortsteil Rödgen und legte im Jahr 2001 mit Erlebnisberichten über selbst gefahrene Radrennen den Grundstein. Mit großem Interesse am Radsport und am Journalismus entwickelt er mit seinem Team die Radsportnachrichten aus Mittelhessen immer weiter.