Ein Fingerzeig in die Profiliga

GOTHA – Dass es derart gut laufen würden, übertraf wahrscheinlich auch die eigenen Erwartungen: Die RSG Gießen BIEHLER haben sich bei der Lotto Thüringen Ladies Tour international einen Namen gemacht, zwei der sechs Etappen geprägt, Berg- und Sprintpunkte eingefahren und insgesamt fünf Sonder-Wertungstrikots der Rundfahrt geholt.

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Vom ersten Tag an waren die RSG Gießen BIEHLER bei der 672 Kilometer langen Rundfahrt über sechs Etappen durch den Freistaat Thüringen offensiv unterwegs. Dass sie als eine von insgesamt 17 Mannschaften gleich sechs der neun UCI Women’s World Teams als Gegnerinnen hatten, sie neben dem Thüringer maxx-solar-Lindig Team die einzige Amateur-Mannschaft waren, wirkte dabei wohl umso mehr als Ansporn.

Bei kühlen Temperaturen, Nässe und starkem Wind hatte die Rundfahrt mit einer 88,9 Kilometer langen Etappe rund um Schmölln begonnen. Beim Sieg der Dänin Emma Norsgaard vom Movistar Women Team vor Lucinda Brand (Team Trek-Segafredo) und Lotte Kopecky (Nationalteam Belgien) kamen die RSG Gießen BIEHLER im Feld der 97 Starterinnen solide an: Katharina Fox und Helena Bieber auf den Plätzen 61 und 62, Lydia Ventker auf Platz 71, Bianca Bernhard auf Rang 86, Adelheid Schütz auf Platz 89 und Amelie Hild auf Platz 95. Zu Beginn der Etappe, die abends im Livestream des MDR übertragen wurde, gelang den RSG Gießen BIEHLER eine erste namentliche Erwähnung. Bei der Siegerehrung wurde Katharina Fox überraschend als beste Amateurin mit dem GOTHA-ADELT-Amateur Trikot ausgezeichnet.

Attacken bis die Tränen kamen

Eine kleine Chance machten die RSG Gießen BIEHLER zu deinem dicken Ding auf der zweiten Etappe, die 125 Kilometer rund um Gera führte. Sie platzierten eine Menge an Attacken, die auf ihre Gegnerinnen einprasselten wie die unzähligen Schauer auf dieser kalten und windigen Etappe. Amelie Hild machte den Anfang, Katharina Fox legte nach und konnte bis zur ersten Sprintwertung als Solistin vor dem Feld der Verfolgerinnen fahren. Dann setzte sich Helena Bieber ab und wurde vor der ersten Bergwertung nur von Katrin Hammes (Ceratizit–WNT Pro Cycling Team) übersprintet. In der Abfahrt hinter der zweiten Bergwertung war es dann schon keine Überraschung mehr, dass durch Katharina Fox erneut das grün-schwarze Trikot der RSG Gießen BIEHLER einen Vorstoß wagte. Ihr Vorsprung wuchs rasch auf 55 Sekunden. Mit 6:21 Minuten Rückstand in der Gesamtwertung war Fox keine Gefahr für das Lotto Thüringen Leader-Trikot auf den Schultern der Dänin Norsgaard, die sich hinter ihr ein Duell um Platz zwei am Berg mit Liane Lippert (Team DSM) lieferte. Dadurch war auch das Hauptfeld gefährlich nah an Ausreißerin Fox gekommen. Doch den schrumpfenden Vorsprung konnte sie nochmal auf bis zu 1:20 Minuten ausbauen und sich die nächste Sprintwertung sichern, ehe die Flucht tatsächlich vorbei war. Den Tagessieg auf dem Marktplatz in Gera sicherte sich Lorena Wiebes (Team DSM) mit einigen Metern Vorsprung vor der Zweitplatzierten Emma Norsgaard (Movistar Women Team) und Christine Majerus (Team SD Worx) auf Platz drei.

Sie habe unterwegs Tränen in den Augen gehabt, als sie realisierte, gerade die Weltspitze des Frauen-Radsports hinter sich gelassen zu haben, beschrieb die 24-jährige Katharina Fox ihre Solofahrt im Fernsehinterview mit dem MDR, dessen Berichterstattung von der offensiven Fahrweise der Amateurinnen geprägt wurde. Das blau-weiße IKK Classic Aktiv-Trikot für Fox als aktivste Fahrerin und internationale Aufmerksamkeit im Frauen-Radsport war der Lohn.

RSG Gießen BIEHLER bei der Lotto Thüringen Ladies Tour. Foto: Arne Mill RSG Gießen BIEHLER bei der Lotto Thüringen Ladies Tour. Foto: Arne Mill

Fotos: Arne Mill

RSG Gießen BIEHLER mit beachtlichem Vorsprung

Alles andere als müde zeigten sich die RSG Gießen BIEHLER auf der dritten Etappe über 116,5 Kilometer und 1.719 Höhenmeter rund um Schleiz. Schon nach vier Kilometern setzte sich Helena Bieber mit ihrer Teamkollegin Lydia Ventker und Caroline Andersson vom Team Coop-Hitec Produts aus dem Feld der 93 gestarteten Fahrerinnen ab. Ventker, Bieber und Wild schnappten sich in dieser Reihenfolge die erste Bergwertung und der Vorsprung wuchs bis auf beachtliche 8:30 Minuten. Auch wenn sie die Meute hatten wegfahren lassen: Die Verfolgerinnen sollten nicht zu spät mit der Tempoverschärfung beginnen, um die Ausreißerinnen noch sicher vor dem Ziel in Schleiz einholen zu können. An der zweiten Bergwertung, die an Wild vor Bieber und Ventker ging, zeigte sich dann schon etwas Kräfteverschleiß in der Spitzengruppe. Etwas später waren nur noch Wild und Bieber als Duo unterwegs. Bieber konnte sich noch als Dritte über die dritte Bergwertung retten, ehe die Flucht nach rund 90 Kilometern zu Ende war. Liane Lippert (Team DSM) und Lucinda Brand (Team Trek-Segafredo) bildeten dann die neue Spitze. Brand sicherte sich mit zwei Sekunden Vorsprung vor Norsgaard und Kopecky den Etappensieg. Helena Bieber wurde als aktivste Fahrerin und beste Amateurin ausgezeichnet.

Kampf um den Anschluss

Die Attacken um eine Ausreißergruppe zu Beginn der vierten Etappe über 101 Kilometer rund um Dörtendorf kosteten die RSG Gießen BIEHLER nach den Strapazen der Vortage viel Kraft. Fünf der sechs Fahrerinnen fielen zurück und mussten fortan darum kämpfen, den Rückstand auf der vier Mal zu fahrenden Runde nicht zu groß werden zu lassen, um nicht aus dem Rennen genommen worden. Bei vier Bergwertungen und dem entbrannten Kampf um das Gelbe Trikot an der Spitze keine leichte Aufgabe. Lucinda Brand verdrängte auf dieser Etappe Emma Norsgaard aus dem Führungstrikot und die grün-schwarzen BIEHLER-Trikots konnten sich ebenfalls erfolgreich ins Ziel retten. „Heute haben wir ein bisschen bezahlt für die Parforceritte, die wir die letzten Tage gemacht haben“, sagte Christian Müller, der Sportliche Leiter der RSG Gießen BIEHLER.

So galt es über Nacht gut zu regenerieren, um auch die 143 Kilometer lange Königsetappe rund um Gera heil zu überstehen. Wieder ging es mit unzähligen Attacken los, die erst nach 20 Kilometern eine Ausreißergruppe hervorbrachten. Lydia Ventker, Adelheid Schütz und Amelie Hild waren zu diesem Zeitpunkt mit ihren Kräften schon in Schwierigkeiten, von denen sie sich auch nicht mehr erholen sollten. Ventker stieg in der Verpflegungszone entkräftet aus, Schütz und Hild wurden mit zu großem Rückstand aus dem Rennen genommen. Die Hoffnungen lagen von nun an auf Bianca Bernhard, Katharina Fox und Helena Bieber – auch um in die Teamwertung zu kommen, für die man drei Fahrerinnen sicher ins Ziel bringen musste. Bernhard konnte sich über 90 Kilometer im Hauptfeld behaupten. Fox hatte bei Rennkilometer 120 einen Reifenschaden, stürzte bei der Aufholjagd, aber erreichte wie Bernhard ebenfalls das Ziel. Bieber konnte sogar bis zur letzten Bergwertung mitfahren, bevor dort das Hauptfeld im beginnenden Finale in mehrere Gruppen zerfiel. Mit einer dieser Gruppen erreichte sie beim erneuten Tagessieg von Lucinda Brand das Ziel.

Führende Teams wollen Sprintentscheid

Es vielleicht nochmal in eine Spitzengruppe zu schaffen, war das selbstbewusste Vorhaben für die Schlussetappe über 98 Kilometer rund um Gotha. „Das war ein richtiges Geballer auf den ersten 40 Kilometern. Links eine Attacke, rechts eine Attacke. So ging das die ganze Zeit, Das Feld hat niemanden wegfahren lassen, um es zu einem Sprintfinale kommen zu lassen“, schilderte Christian Müller den Beginn der Etappe. Bei der ersten Bergwertung konnten sich zwei Fahrerinnen absetzen, doch das Finale wurde im Diktat der Profiteams im Sprint entschieden, den sich Lorena Wiebes vor Lotte Kopecky und Emilia Fahlin (FDJ Nouvelle-Aquitaine Futuroscope) sicherte. Der Gesamtsieg der Lotto Thüringen Ladies Tour ging an Lucinda Brand vor Lotte Kopecky und Emma Norsgaard. Mit insgesamt fünf Sonder-Wertungstrikots und international geprägter Bekanntheit im Gepäck reisten die RSG Gießen BIEHLER sehr zufrieden, und wahrscheinlich auch ein bisschen überrascht, aus Thüringen ab. Die Rückkehr nach Hause und in ihre Jobs ist für die Amateurinnen aber nur eine Zwischenstation: Schon ab Donnerstag (03.06.) sind sie in Niederösterreich bei der nächsten Rundfahrt im Einsatz. 

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Stephan Dietel
Stephan Dietel
Gründer | Redaktionsleitung | CvD | Ressortleitung Straße | Leitung Multimediaredaktion | sd@radsportnachrichten.com

Er wohnt im Gießener Ortsteil Rödgen und legte im Jahr 2001 mit Erlebnisberichten über selbst gefahrene Radrennen den Grundstein. Mit großem Interesse am Radsport und am Journalismus entwickelt er mit seinem Team die Radsportnachrichten aus Mittelhessen immer weiter.

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