REDAKTION – Fahrraddiebstähle kommen häufig vor. Eine besondere Häufung von verschwundenen Fahrrädern bei Radrennen sorgte im Sommer dieses Jahres für Aufsehen und betraf auch drei Mittelhessen. Einer von ihnen schaffte es jetzt mit intensiver Suche, dem gestohlenen Rad auf die Spur zu kommen – und auch denen seiner Rennfahrerkollegen.
Im Sommer dieses Jahres fiel eine Häufung von Fahrraddiebstählen bei Radrennen auf. Im Umfeld der Nummernausgaben verschwanden wiederholt Fahrräder, wenn diese zum Abholen oder Zurückbringen der Startnummern für kurze Zeit aus den Augen gelassen wurden.
Das betraf auch drei mittelhessische Radrennfahrer, die in kurzer zeitlicher Abfolge Opfer eines Fahrraddiebstahls wurden – darunter Christian Werner. Am 20. Mai wurde ihm beim Rundstreckenrennen in Köln-Longerich sein Fahrrad gestohlen, als er nach erfolgreichem Rennen zur Nummernausgabe zurückkehrte. Am gleichen Tag wurde einem weiteren Mittelhessen, 150 Kilometer von Köln-Longerich entfernt, in Dautphe das Fahrrad gestohlen – ebenfalls als der Rennfahrer die Nummernausgabe aufsuchte. In ähnlicher Weise wiederholte sich das noch einige Male an unterschiedlichen Orten in verschiedenen Bundesländern, aber immer bei Radrennen und vermehrt rund um die Abläufe der Nummernausgabe, selbst wenn die Fahrräder mit in die Vorräume von Gebäuden genommen wurden. Am 29. Mai warnte der Bund Deutscher Radfahrer mit einer Meldung vor einer Häufung von Fahrraddiebstählen bei Radrennen.
Beginn mit kleinen Puzzlestücken
Die sich ähnelnden Abläufe ließen Kenntnisse rund um das Stattfinden von Radrennen und deren Gegebenheiten vermuten. Die Diebstähle wirkten organisiert und geplant. Beim Diebstahl in Dautphe war zudem eine Person aufgefallen, die später von Zeugen auf dem gestohlenen Fahrrad gesehen worden sein soll. An einem anderen Ort gab es Bildmaterial von dem Diebstahl, was im weiteren Verlauf noch ein hilfreiches Puzzlestück für Christian Werner werden sollte.
Das Gefühl, nach dem Rennen ins Auto zu steigen, ohne mein Fahrrad einzuladen, war dermaßen schlimm, dass ich mir in diesem Moment gesagt habe: Den Dieb erwische ich.
– Christian Werner
Es sei ein sehr schlimmes Gefühl gewesen, nach dem Rennen ins Auto zu steigen ohne ein Fahrrad eingeladen zu haben. Und auch zu Hause schmerzte es Christian Werner nach dem Diebstahl in besonderer Weise, ins Haus zu gehen, ohne erst noch sein Fahrrad wegzuräumen. Stattdessen setzte er sich an den Computer und hinterlegte Suchaufträge in allen ihm bekannten Verkaufsplattformen und in einer Vielzahl von Portalen der Radrennsportszene und speziell für Fahrradverkäufe. Eine Anzeige bei der Polizei am Ort des Verschwindens war da bereits getätigt. „Von Deutschland, Belgien, Österreich bis nach Italien – in komplett Europa und in Russland hatte ich online Suchaufträge nach meinem Rad hinterlegt“, berichtet Werner. Dabei sollte es hilfreich sein, dass sein dunkelgrünes Cannondale SystemSix sehr selten ist und über einige Besonderheiten in der Zusammenstellung verfügt. Wann immer jemand ein solches Modell auf einer Online-Plattform zum Kauf anbieten sollte, würde Werner wegen der hinterlegten Suchbegriffe eine E-Mail bekommen. Fortan gehörte es zu seiner wöchentlichen Routine, diese eingehenden Nachrichten und die Inserate zu überprüfen. Doch auch wenn es ein seltenes Modell war und die Zahl an Verkaufsangeboten damit deutlich geringer als bei anderen Exemplaren ausfiel: Sein Fahrrad war nicht dabei. Das ging über Wochen und Monate so.
Suche hat plötzlich Erfolg
Auf den Tag genau sieben Monate nach dem Diebstahl tauchte das Fahrrad von Christian Werner dann tatsächlich auf einer Verkaufsplattform auf und ließ ihn seinen Augen kaum trauen. Laufräder und Sattel waren andere, die Kurbel umgebaut: Doch es waren genügend spezifische Merkmale erkennbar, die das Fahrrad eindeutig als das von Christian Werner identifizierbar machten. Die laufende Auktion, für die sein Rad auf der Plattform inseriert worden war, ließ ihm nur wenige Tage Zeit, bis jemand das Fahrrad vom Verkäufer ersteigern würde. Die Meldung des Inserats bei der Polizei machte Christian Werner wenig Hoffnung, dass diese ihm sein Rad zurückbringen würde und so widmete er sich mit zwei Freunden noch am selben Abend auf der Internet-Plattform einer intensiven Recherche durch das Profil des Verkäufers. Am nächsten Morgen sei es dann „total absurd“ geworden, denn auch die Fahrräder der beiden anderen Mittelhessen und einige weitere, die in den zurückliegenden Wochen als gestohlen kommuniziert worden waren, wurden von dem Verkäufer inseriert. „Ich interessiere mich sehr für Fahrräder und deren Komponenten. Ich weiß sehr genau, wer welches Material fährt“, sagt Christian Werner, der über die Wochen seiner Suche in der Rennsportszene schon als „der, dem das Fahrrad geklaut wurde“ bekannt geworden war.
Intensive Recherche in Details
Dass er im gesamten Bundesgebiet Radrennen fährt und dadurch viele Menschen kennenlernt, sollte ihm auch bei seiner Suche helfen, die mit den veröffentlichten Angeboten in die heiße Phase ging. Vor allem die Fotos der vielen aktiven Inserate des Verkäufers waren Werner hilfreich, Stunde um Stunde mehr herauszufinden, während die befristete Auktion seines Fahrrades weiterlief. Zufällig zu sehende Gegenstände auf den Artikelfotos des Verkäufers weckten Werners Interesse besonders – angeheizt durch die Hoffnung, sein geliebtes Fahrrad wiederzubekommen. Das wohnliche Umfeld auf den Fotos und einige angebotene Artikel ließen für Werner den Schluss zu, dass der Verkäufer und vermeintliche Dieb selbst Radrennfahrer sein könnte. „Ich kam mir fast schon vor wie ein Profiler der Polizei“, sagt Werner zurückblickend. Und seine analytischen Fähigkeiten in diesem „Fall“ waren tatsächlich sehr ausgeprägt, denn aus dem Nutzernamen des Verkäufers in dem Portal und der Vermutung einer Radrennsport-Angehörigkeit konnte er, seit Stunden unterstützt von seinen zwei Freunden, in Internetrecherchen eine Person ausfindig machen, die zu den Kürzeln des Nutzernamens im Portal und zu den Aufnahmen einer der Diebstähle passten. Zeitungsberichte zur Radsportaffinität der Person wiesen zudem auf einen möglichen Wohnort hin.
Nach Stunden ging es dann ganz schnell
Für Christian Werner und seine beiden Freunde stand ein weiterer langer Abend bevor, an dem sie sich online einsehbare Satellitenaufnahme des vermeintlichen Wohnorts der Person vornahmen und jedes einzelne Haus ansahen. „Einer von der linken Seite und einer von der rechten Seite, haben wir uns systematisch die Häuser des Ortes angesehen“, schildert der Mittelhesse. Denn von den Fotos der Inserate wussten sie auch, wie das Haus des Verkäufers von außen aussah und das sei sehr speziell gewesen. Schon nach kurzer Zeit wurden sie fündig und hatten nun neben den aktiven Inseraten mit den gesuchten Fahrrädern und dem Online-Profil des Verkäufers auch einen möglichen Namen, Wohnort und sogar eine Anschrift. Es folgten unzählige Telefonate mit Polizei-Stationen über drei Bundesländer und viele Zuständigkeiten und Hierarchien hinweg, wobei Christian Werner seine Dokumentationen und Erkenntnisse der Recherche für die erhofften Überprüfungen immer wieder schildern musste: Und die Auktion seines Fahrrades steuerte immer weiter dem Ende entgegen. Als nach Stunden wohl der richtige Kontakt zur Polizei gefunden war, ging es dann ganz schnell. Bei einer Hausdurchsuchung konnten noch am selben Abend durch die Polizei zehn Fahrräder bei dem Verkäufer mitgenommen werden, deren Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren. Denn, so viel war Christian Werner bei seiner Recherche klar: Auch wenn sein Fahrrad und das seiner Radsportkollegen wiedergefunden war, sollte sich noch die juristische und bürokratische Aufarbeitung der Sache anschließen. Und als sei dieser „Fall“ nicht schon kurios genug: Am Tag nach der Hausdurchsuchung wurde auch noch die Kurbel von Christian Werner auf dem Profil des Verkäufers angeboten. Werner telefonierte erneut und die Polizei konnte auch seine Kurbel dort sicherstellen.
Geschichte mit Botschaft
Für Christian Werner sei die Suche nach dem gestohlenen Fahrrad seine ganz spezielle Weihnachtsgeschichte dieses Jahres gewesen und die Bestätigung, „dass sich Beharrlichkeit und Konsequenz lohnen“. Damit möchte er anderen Mut machen, immer intensiv an Zielen zu arbeiten und nicht aufzugeben. Im neuen Jahr möchte er dann sein Fahrrad wieder selbst überall hin mitnehmen. Vorsicht vor Diebstählen bei Veranstaltungen gilt natürlich weiterhin.
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Stephan Dietel
Er wohnt im Gießener Ortsteil Rödgen und legte im Jahr 2001 mit Erlebnisberichten über selbst gefahrene Radrennen den Grundstein. Mit großem Interesse am Radsport und am Journalismus entwickelt er mit seinem Team die Radsportnachrichten aus Mittelhessen immer weiter.