REDAKTION – Für Radfahrer ist die Bedeutung von Normungen auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich. Dabei beschreiben sie die sicherheitstechnischen Anforderungen an Räder und Bauteile. In unserem Format „Zehn zum Zehnten“ geben wir einen Einblick.
DIN-Normen: Die Tests sind für den Radkäufer eine Garantie, dass Fahrspaß und Produktsicherheit gewährleistet sind. Viele Hersteller testen sogar deutlich „über die Norm“ hinaus, da es sich bei einer Norm um eine Mindestanforderung handelt.
Über 20 Normen rund um das Fahrrad gelten aktuell in Deutschland. In unserem Format „Zehn zum Zehnten“, in Zusammenarbeit mit dem pressedienst-fahrrad, erklären wir die zehn wichtigsten Normen und welche Bedeutung die Buchstaben- und Zahlenfolgen für den Endverbraucher haben.
Anders als beim Auto gibt es beim Fahrrad keine neutrale Bauartprüfung oder Betriebserlaubnis durch das Kraftfahrtbundesamt. Fahrräder werden vom Hersteller oder Importeur eigenverantwortlich in den Verkehr gebracht. Sinn der Normung ist es, definierte Mindestanforderungen für den Verbraucherschutz zu schaffen. In den Sicherheitsnormen werden deshalb durch wiederholbare Prüfungen Mindeststandards für Produktsicherheit gewährleistet. Damit die Ergebnisse vergleichbar sind, werden in der Norm die Prüfaufbauten und ‑durchführungen exakt beschrieben. Diese haben auch internationale Gültigkeit. Normen sind erforderlich, die gesetzlichen Vorgaben durch Wirkschriften zu ergänzen, schreibt beispielsweise das Prüfinstitut Velotech.de.
DIN = Deutsche Norm
DIN EN = Europäische Norm
DIN EN ISO = Weltweite Norm
1. DIN EN ISO 4210 = Fahrräder
Bei der DIN EN ISO 4210 handelt es sich um die weltweit gültigen sicherheitstechnischen Anforderungen für Fahrräder mit einer Sattelhöhe ab 635 Millimetern – also die meisten Räder für Erwachsene. „Darunter fallen sowohl City- und Trekkingräder als auch Mountainbikes und Rennräder“, erklärt Volker Dohrmann vom Fahrradhersteller Stevens. Die internationale Normung soll gewährleisten, dass Fahrräder so sicher wie möglich sind. Bei den Prüfungen stehen die Festigkeit und Haltbarkeit des Fahrrades und einzelner Teile wie Bremse, Lenker, Rahmen, Gabel, Beleuchtung oder auch Laufräder im Mittelpunkt. Es handelt sich jedoch nicht um die spezielle Normung einzelner Bauteile, vielmehr werden die Komponenten auf ihre Belastungen am Fahrrad getestet. So gibt es beispielsweise für Ketten und Riemen die gleichen Anforderungen nach ISO 4210, obwohl sich die Produkte in Haltbarkeit und Qualität unterscheiden. „Den Test besteht der Riemen locker, da er die maximale geforderte Zugkraft der Kette problemlos verkraftet. Es gibt jedoch keine spezielle Testnorm für Zahnriemenantriebe“, erklärt Frank Schneider vom Riemenmarktführer Gates. Wenn das Fahrrad am Straßenverkehr teilnimmt, unterliegt es zudem den nationalen Bestimmungen, in Deutschland also der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO), deren Einhaltung ebenfalls über die Norm abgedeckt wird. Ein Hinweis auf die Norm sollte in einer Kennzeichnung am Rahmen oder in der Gebrauchsanweisung vermerkt sein. „Außerdem ist das zulässige Gesamtgewicht entsprechend den Herstellerangaben in der Gebrauchsanleitung einzuhalten“, rät Dohrmann dem Fahrradkäufer.
2. DIN EN 15194 = Pedelecs
Seit Juli 2017 ist die europäische Norm DIN EN 15194 für EPACs (also elektromotorisch unterstütze Fahrräder) in Kraft. Die Norm enthält Anforderungen speziell für Pedelecs bis 25 km/h maximale Unterstützung und mit einer maximalen Nenndauerleistung von 250 Watt – also die Räder, die im Volksmund meist „E‑Bikes“ genannt werden. Die Norm umfasst sowohl mechanische als auch elektrische Anforderungen, Z. B. für Kabel und Anschlüsse, Leistungsmanagement und Verhalten bei Fehlfunktionen. „Darunter fallen auch die Testkriterien für Akkus mitsamt Ladegeräten und Kabeln sowie Prüfungen zur elektromagnetischen Verträglichkeit“, erklärt Anja Knaus vom E‑Bike-Hersteller Flyer. Der Hinweis auf die Norm findet sich am Rahmen zusammen mit dem CE-Kennzeichen, das für den Verkauf von Pedelecs in Europa vorgeschrieben ist, da die Räder unter die Maschinenrichtlinie fallen. Außerdem darf auch bei Pedelecs das zulässige Gesamtgewicht nicht überschritten werden. „Dieses berechnet sich aus dem Gewicht des Rades, dem Fahrergewicht und dem Gepäck und ist ebenfalls im CE-Kennzeichen mit angegeben“, so Knaus. Die Prüfkriterien beziehen sich allerdings nur auf E‑Bikes im City- und Trekkingbereich. Für E‑Mountainbikes wird bei den mechanischen Anforderungen aktuell noch auf die ISO 4210 verwiesen, eine spezielle Norm ist aber in Bearbeitung.
3. DIN EN ISO 8098 = Kinderräder
Die Sicherheitsanforderungen für Kinderräder sind in der internationalen Norm DIN EN ISO 8098 festgelegt. Unter den Begriff Kinderräder fallen dabei Räder, die eine Sattelhöhe zwischen 435 und 635 Millimeter haben und nicht für sogenannte Trickfahrten bestimmt sind. Im Gegensatz zur ISO 4210 sind die Anforderungen an die Räder kindgerechter gestaltet. Das heißt, die mechanischen Tests werden mit einem geringeren Gesamtgewicht durchgeführt und auch die Anforderungen an die Bremsen sind angepasst, da die Bremskraft bei Kindern geringer ausfällt. Verschärft sind hingegen die Anforderungen zur Toxizität. „Die Norm hat aber noch weitere kinderspezifische Besonderheiten: So ist an Kinderrädern ein Kettenschutz vorgeschrieben, damit sich die Nachwuchsfahrer nicht die Finger in der Kette einklemmen können“, erklärt Guido Meitler vom Kinderfahrzeugspezialisten Puky.
4. DIN EN 1078 = Fahrradhelme
Fahrradhelme gelten als persönliche Schutzausrüstung. Sie müssen deshalb der Richtlinie 89/686/EWG entsprechen. Teil dieser Verordnung ist die Prüfung nach DIN EN 1078. Darin enthalten sind Prüfverfahren für die Konstruktion des Helmes, stoßdämpfende Eigenschaften und Merkmale zu Kinnriemen und Befestigung. „Die Prüfung umfasst beispielsweise einen Sturz aus 1,5 Metern auf einen flachen Untergrund und aus ca. 1,05 Metern auf eine Kante“, erklärt Torsten Mendel vom Sicherheitsexperten Abus. Abgeleitet von der DIN EN 1078 gibt es zusätzlich die DIN EN 1080 speziell für Kinderhelme. Darin ist u. a. geregelt, dass die Kinnriemen bei einer bestimmten Zugkraft reißen sollen, damit eine Strangulation verhindert wird. Auf die Norm wird in Verbindung mit einem CE-Kennzeichen in der Helm-Innenseite verwiesen.
5. DIN EN ISO 11243 = Fahrradgepäckträger
Fahrradgepäckträger so sicher wie möglich machen – damit beschäftigt sich die internationale Norm DIN EN ISO 11243. Darin enthalten sind alle sicherheitsrelevanten Ausführungen für Konstruktion und Prüfung von Gepäckträgern aller Art, die für den Anbau am Fahrrad mit und ohne Werkzeug vorgesehen sind. Unter die Norm fallen sowohl Front- als auch Heckträger. Da es sich beim Gepäckträger um ein individuelles Produkt auch zum Nachrüsten handelt, ist es durchaus sinnvoll, eine spezielle Norm zu haben. Der Verweis auf die eingehaltene Norm befindet sich entweder eingeschweißt am Gepäckträger direkt und/oder in der Gebrauchsanleitung.
6. DIN 79010 = Lastenräder
Die jüngste unter den Fahrradnormen ist die DIN 79010 für Lastenräder, die Anfang 2020 veröffentlicht wurde. Sie beschäftigt sich mit den speziellen Anforderungen für Lastenräder mit und ohne Elektroantrieb. „Lastenräder haben eine hohe Varianz bei Form und Aufbau. Jede Bauform hat Kriterien, die in Bezug auf den Einsatzzweck berücksichtigt werden müssen. Deshalb brauchen sie andere Prüfkriterien als normale Fahrräder, weshalb die eigene Norm ein logischer Schritt ist“, begründet Markus Riese vom E‑Lastenradanbieter Riese & Müller. Durch die hohen Zuladungsmöglichkeiten sind auch die Prüfkriterien auf maximale Belastungen bis 250 Kilogramm, bei Mehrspurfahrzeugen sogar auf 300 Kilogramm ausgelegt. Ebenfalls sind die Anforderungen für den Kindertransport definiert.
7. DIN EN 15918 = Fahrradanhänger
Eine weitere Möglichkeit des Kinder- und Lastentransports ist der Fahrradanhänger. Es gilt dabei die europäische Norm DIN EN 15918, und wenn der Anhänger auch zum Schieben als Buggy genutzt werden kann, zusätzlich auch die Kinderwagennorm DIN EN 1888. Für alle Fahrradanhänger gelten 60 Kilogramm als zulässiges Höchstgewicht, einschließlich der Last oder dem Gewicht der beförderten Personen. „Über die normativen Vorgaben werden nicht nur die mechanische Sicherheit der Bauteile wie Fahrgastzelle, Deichsel, Sitzeinrichtung oder Faltmechanismus berücksichtigt, sondern auch chemische Sicherheit von Textilien sowie Kunststoffen und Kennzeichnungspflichten wie Warnhinweise und Bedienungsanleitung“, erklärt Teresa Rink vom Anhängerspezialisten Croozer.
8. DIN 79008 = Fahrradparksysteme
Mit der steigenden Anzahl an Fahrrädern und der Nutzung höherwertiger Modelle steigen auch die Anforderungen an das sichere Abstellen in Fahrradparksystemen. Im August 2011 initiierte deshalb der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) einen DIN-Normenausschuss für Fahrradabstellanlagen, der seine Arbeit im Mai 2016 mit der DIN 79008 beendete. „Zu den dort festgelegten Anforderungen zählen beispielsweise Mindestabstände für eingestellte Fahrräder, der Bedienkomfort und der Schutz gegen Diebstahl und Vandalismus“, erklärt Andreas Hombach vom Parksystemanbieter WSM, der an der Erarbeitung der Norm beteiligt war. Allerdings erfüllen bislang nur wenige Abstellanlagen alle Anforderungen der Norm. Das liegt allerdings daran, dass sich einige der Kriterien in der Praxis gegenseitig ausschließen. „Es gibt noch Nachbesserungsbedarf“, meint Hombach.
9. DIN EN 16054 = BMX-Räder
BMX-Räder sind für Sprünge und Tricks gemacht, sie müssen deshalb höhere Belastungen verkraften als normale Fahrräder. Die Norm DIN EN 16054 befasst sich genau mit den Anforderungen für Bauteile und Rahmen bei Trickfahrten, Kunststücken und Sprüngen. Die Prüfverfahren sind dabei speziell auf den BMX-Sport ausgelegt und umfassen zusätzlich spezifische Teile wie Fußrasten. Die Norm ist nochmals unterteilt in verschiedene Fahrergewichte über und unter 45 Kilogramm. „Das ist für Eltern interessant, die ihrem Nachwuchs ein BMX kaufen möchten. Hier sollte man die richtige Kategorie auswählen“, rät Bodo Hellwig, verantwortlich für den BMX-Bereich beim Hersteller und Markenvertreiber Sport Import.
10. Spezialräder
Trotz diverser Normen gibt es immer noch Räder, die nicht einzuordnen sind. Dazu zählen u. a. Tandems und Liegeräder. „Natürlich sorgen auch wir dafür, dass unsere Produkte sicher sind. Wir orientieren uns ganz klar an den gängigen Normen für Fahrräder und Pedelecs, haben aber in manchen Bereichen, z. B. beim Sitz, andere Anforderungen. Das können die gängigen Normen nicht abbilden. Die Ausarbeitung und Anwendung hausinterner Normen spielt daher eine große Rolle“, erklärt Entwicklungschef Daniel Pulvermüller vom Liegeradspezialisten HP Velotechnik. (Text: pm | Titelfoto: Luka Gorjup (pd-f.de))
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Stephan Dietel
Er wohnt im Gießener Ortsteil Rödgen und legte im Jahr 2001 mit Erlebnisberichten über selbst gefahrene Radrennen den Grundstein. Mit großem Interesse am Radsport und am Journalismus entwickelt er mit seinem Team die Radsportnachrichten aus Mittelhessen immer weiter.